Vor rund 1.500 Gästen hat Bundesjugendministerin Lisa Paus am 20. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 verliehen. "Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist – und bleibt auch in Zukunft – eine Institution hierzulande. Er setzt Zeichen für die Belange junger Menschen und den Stellenwert ihrer Literatur. Gemeinsam geht es uns darum, dass Kinder in Deutschland gut aufwachsen können", so die Preisstifterin Lisa Paus. Die Preisverleihung fand bereits zum 67. Mal statt.
Ralf Schweikart, Vorsitzender des Arbeitskreises für Jugendliteratur (akj), appellierte an die Festgäste, die ganze Branche und alle Verantwortlichen, das Thema Leseförderung ernst zu nehmen und zu handeln. Und Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins forderte "Wir brauchen bildungswirksame Konzepte und zwar nicht irgendwann - sondern jetzt! Sie alle hier im Saal ermöglichen es durch Ihre ganz unterschiedliche Arbeit, dass Kinder Freude beim Lesen erleben", zollte Schmidt-Friderichs dem Engagement der Buchhändlerinnen und Buchhändler, Verlagsmitarbeiterinnen und Verlagsmitarbeitern, Bibliothekarinnen und Bibliothekarien etc. Respekt.
Die Kritikerjury wählte die Gewinnerinnen und Gewinner in den Kategorien Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch. "Alle unsere Preisbücher sind eine Einladung dazu, unsere Welt so divers wahrzunehmen, wie sie ist", betont die Juryvorsitzende Prof. Dr. Iris Kruse. "Auf formal und inhaltlich jeweils ganz eigene Weise schaffen sie es, unsere Sinne und unsere Herzen weit zu machen für die bereichernde Vielfalt in uns, in anderen und in der Lebenswirklichkeit aller."
Als bestes Bilderbuch überzeugte Spinne spielt Klavier. Geräusche zum Mitmachen (Benjamin Gottwald / Carlsen). Dem nahezu textlosen Bilderbuch des Autors und Illustrators Benjamin Gottwald liegt ein Konzept von bestechender Originalität zugrunde: Auf über 160 Seiten laden kräftige bunte Bilder im Comic-Stil dazu ein, beim Betrachten Töne zu produzieren. Gelingt dies zu Beginn noch leicht, entwickelt das variantenreiche und gewitzte Werk fortschreitend immer komplexere Szenen, die auf kreative Weise mit dem Geräuschpotenzial von Situationen spielen.
Sieger im Kinderbuch ist der Comic Boris, Babette und lauter Skelette (Tanja Esch / Kibitz). Temporeich und mit viel Humor erzählt Tanja Esch in Wort und Bild vom Selbstfindungsweg der kuriosen Ausnahmefigur Babette, die sich jeglicher Zuordnung entzieht. Als der junge Boris die Obhut für Babette übernehmen muss, gerät er in einen fröhlich-chaotischen Trubel anstrengender Fürsorgearbeit. Mit großer Selbstverständlichkeit gestaltet Tanja Esch in dieser Geschichte Figurendiversität aus und bietet jungen Leserinnen und Lesern dabei vielfältige Anknüpfungspunkte.
In der Sparte Jugendbuch setzte sich der Versroman Die Sonne, so strahlend und Schwarz (Chantal-Fleur Sandjon / Thienemann) durch. Im Mittelpunkt steht die heranwachsende Nova, deren Leben durch "Vielheiten" geprägt ist. In einer eindringlich verdichteten Verssprache erzählt die Autorin von den psychischen und physischen Verletzungen aus Novas Vergangenheit ebenso wie von ihrer Leidenschaft für das Rollschuhfahren und von ihrem ersten Verliebtsein. Dabei entwickelt sie das Heranwachsen als Schwarze, queere junge Frau in Deutschland in all seinen Facetten. Beispielhaft gelingt dabei die Verbindung eines individuellen Schicksals mit kultureller Erinnerung.
Diversität wird auch in der Sparte Sachbuch großgeschrieben, hier überzeugte das Handbuch Queergestreift. Alles über LGBTIQA+ (Kathrin Köller ; Irmela Schautz / Hanser). Es bietet nicht nur queeren Jugendlichen einen sicheren Erfahrungs- und Erprobungsraum, sondern lädt auch alle anderen ein, sich auf queere Themen einzulassen. Dabei werden gesundheitliche, rechtliche und soziale Fragen anschaulich und respektvoll vermittelt. Mit Regenbogen-Cover und farbigem Buchschnitt setzt auch die Materialität ein starkes Zeichen für Vielfalt.
Die Jugendjury hat sich mit Als die Welt uns gehörte (Liz Kessler / Fischer KJB) für ein Werk von aktueller gesellschaftspolitischer Relevanz entschieden. Der Roman der britischen Autorin Liz Kessler, übersetzt von Eva Riekert, gibt erschütternde Einblicke in die Zeiten des Nationalsozialismus. Inspiriert von einer wahren Begebenheit erzählt Kessler aus unterschiedlichen Perspektiven die Geschichte von Elsa, Leo – beides jüdische Kinder – und Max, deren Freundschaft im Zuge der Machtübernahme der Nazis aufs Grausamste verraten wird. Dabei gibt es für die Lesenden keinen Schonraum. Ein Aufruf gegen das Vergessen!
Der mit 12.000 Euro dotierte Sonderpreis Gesamtwerk geht an den Autor Alois Prinz. Mit seinen Biografien u.a. zu Hannah Arendt, Ulrike Meinhof, Dietrich Bonhoeffer oder Joseph Goebbels hat er Maßstäbe gesetzt und das Genre neu definiert. "Prinz erzählt von der Kraft, aber auch der Macht einzelner Personen, Weltordnungen in Frage zu stellen", so die Sonderpreisjury. "Als Biograf und Erzähler stellt er sich Widersprüchen und hinterfragt plakative Verurteilungen. Mit seinen Biografien hat Prinz ein repräsentatives Personenspektrum und ein Gesamtwerk geschaffen, das in der Summe ein humanistisches und wegweisendes Weltbild vertritt."
Der Auszeichnung für das Lebenswerk steht der Sonderpreis "Neue Talente" gegenüber. Diesen gewinnt die Autorin Annika Büsing für ihr Debüt Nordstadt (Steidl). In kraftvollem Ton schildert sie die Lebensgeschichte der 25-jährigen Nene, deren Kindheit und Jugend von Armut und Gewalt geprägt waren und die trotz der Kindheitswunden ihren Lebensmut und ihre Empathie nicht verliert.
Stifter des Deutschen Jugendliteraturpreises ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausrichter ist der Arbeitskreis für Jugendliteratur. Die Auszeichnung wird seit 1956 für herausragende Kinder- und Jugendbücher vergeben und ist mit insgesamt 72.000 Euro dotiert. Bis auf den Sonderpreis Gesamtwerk sind alle weiteren Auszeichnungen mit einem Preisgeld von 10.000 Euro verbunden. Zudem erhalten alle Preisträgerinnen und Preisträger eine Skulptur, die bronzene Momo.
Website des akj (Arbeitskreis für Jugendliteratur)