Die Jahrestagung der Fachkonferenz der Bibliotheksfachstellen in Deutschland ist eine feste Größe im Fortbildungskalender der bibliothekarischen Fachkolleg*innen. Jedes Jahr findet diese unter einem bestimmten Motto an wechselnden Orten statt und nimmt Themen in den Blickpunkt, die gerade auf der Agenda stehen.
Mit Fug und Recht – nicht zuletzt zum Anlass 70-jähriger Geburtstag des Grundgesetzes – hatten die Organisatorinnen, heuer Ute Palmer und die Kolleginnen der Landesfachstelle München, den Schwerpunkt „Fakten und Vielfalt: Bibliotheken als Orte für Demokratie und Meinungsbildung“ gewählt. Knapp 100 Teilnehmende, davon Fachstellen-Kolleg*innen aus ganz Deutschland, Österreich, Vertreter*innen deutscher Sprachgruppen aus Südtirol, Dänemark und Belgien sowie rund 60 Kolleg*innen aus öffentlichen Bibliotheken in Bayern und darüber hinaus waren nach Bad Aibling ins Kurhaus gekommen, um sich Impulse zu holen.
Mit der Begrüßung startete Felix Schwaller, 1. Bürgermeister von Bad Aibling, der nicht nur auf eine der schönsten Thermen in Europa, sondern auch eine vorbildliche Bibliothek verweisen kann. Diese wurde vor knapp zehn Jahren im neuen Rathaus angesiedelt und gilt mit rund 500 Besuchern pro Tag als Mittelpunkt und Frequenzbringer.
Dr. Gerhard Hopp, MdL und Vorsitzender des Bayerischen Bibliotheksverbands e.V. (BBV), fragte, wie Politik und Bildungsträger damit umgehen sollen, dass immer mehr Menschen, vor allem junge Menschen, aber eben nicht nur die junge Generation, durch immer mehr Informationen und abrufbare Fakten beeinflussbar seien, aber gleichzeitig ein richtiger politischer Diskurs schwieriger werde. Deswegen sei die Aufgabe von Bibliotheken, gerade auch der Fachstellen, aktueller denn je, als Berater, Unterstützer, Förderer und Ratgeber zu fungieren. Es gebe innerhalb und außerhalb Bayerns sehr gute Beispiele, wie man junge Menschen begeistern und dabei unterstützen könne, sich kritisch mit Politik, Information und Meinungsbildung auseinanderzusetzen.
In seiner Videogrußbotschaft sagte Bernd Sibler, Minister für Wissenschaft und Kunst, MdL und vormaliger Vorsitzender des BBV: „Ich werde alles dafür tun, dass wir Bibliotheken als angenehme und schöne Orte weiter stärken können und bedanke mich für Ihr Engagement".
Alexander Budjan, Vorsitzender der Fachkonferenz verwies auf Artikel 5 Grundgesetz, der die Legitimation für die Bibliotheken in Deutschland darstellt. Er erläuterte, dass dieser Abschnitt, der die Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, wie auch Einschränkungen (gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre) thematisiert, den Rahmen des Tagungsprogrammes bildet, das sich in drei Blöcke aufsplittet: Die Bibliothek als politischer Ort, Meinungsbildung in Zeiten von FakeNews sowie Literatur an den Rändern.
Der Moderator, Prof. Dr. Tom Becker (TH Köln) und BIB Bundesvorstand, steuerte zielsicher durch die unterschiedlichen Bausteine, behielt den Roten Faden in der Hand und brachte Essentials auf den Punkt.
Bibliothek als politischer Ort
Erste Referentin war Barbara Lison, Direktorin Stadtbibliothek Bremen, IFLA President-Elect 2019 – 2021, mit ihrem Vortrag "Think global – Act local: Bibliotheken als gesellschaftliche Akteure vor Ort im internationalen Kontext." Bei der Fortbildung in Bad Aibling nahm sie besonders die UN-Agenda 2030 in den Blick. Die Sustainable Development Goals (SDGs) 2015 bis 2030 umfassen 17 Ziele, die durch Unterziele und Indikatoren, wie die Ziele erreicht werden können, genauer definiert sind.
Die International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) hat auf Weltebene die Rolle der Bibliotheken ins Spiel gebracht. Es gilt zu klappern! Denn Bibliotheken sind für alle Ziele Steigbügelhalter und Unterstützungssysteme – ohne Informationen, die durch Bibliotheken bereitgestellt werden, sind die SDGs nicht erreichbar.
Bibliotheken können Schwerpunkte setzen und Ziele auswählen, die besonders auf sie zutreffen (z.B. Ziel 4: hochwertige Bildung) und dazu die Botschaft formulieren.
Die künftige Aufgabe der Bibliotheken wird darin liegen, Politik und Verwaltung auf allen Ebenen (lokal und regional) anzusprechen und zu verdeutlichen, welchen Beitrag sie zur Erreichung der SDGs leisten.
Außerdem verwies Frau Lison auf die Website www.biblio2030.de, die von Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz entwickelt wurde. Darin sind z.B. Projekte wie „Ernte Deine Stadt“ (Bad Oldesloe) oder der Methodenkoffer der Büchereizentrale Schleswig-Holstein, der Ideen und Möglichkeiten anbietet, wie Bibliotheken Nachhaltigkeit unterstützen können, zu finden.
Doris Forster, Einrichtungsleiterin der Fachwerkstätte Fürbergstraße stellte die Inklusive Bibliothek der Lebenshilfe Salzburg vor, die im Juni 2016 als kleine öffentliche Bibliothek mit Öffnungszeiten für alle eröffnet wurde. Diese umfasst einerseits rund 2 000 Fachbücher und Fachzeitschriften, andererseits erfolgte eine Erweiterung um Titel in Leichter/Einfacher Sprache. Website und Software sind barrierefrei, im Hause wurde eine Prüfgruppe installiert, die jeden einzelnen Text auf Eignung hin testet.
Sabrina Steinhuber MA, Unterstützerin der Inklusiven Bibliothek, fasste zusammen: Inklusivität soll letztlich nicht für die, sondern mit den Menschen erreicht werden.
Außerdem gibt es einmal pro Woche einen Lesenachmittag von Sandra Stangassinger, die auch für die Fachkonferenz-Fortbildung eine Lesung aus dem Buch "Das Labyrinth der Wörter" abhielt.
Meinungsbildung in Zeiten von FakeNews
Den Nachmittagsblock „Meinungsbildung in Zeiten von FakeNews“ leitete Kathrin Reckling-Freitag von der Büchereizentrale Schleswig-Holstein ein. Sie stellte die FakeHunter – ein Planspiel zum Umgang mit FakeNews für Schüler*innen ab der 8. Klasse vor. Mit diesem Spiel erreichte sie auf dem Bibliothekskongress Leipzig den 2. Platz des Best-Practice-Wettbewerbs 2019 der Gemeinsamen Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv zum Thema "Gamen, Zocken, Daddeln – Spielerische Wege der Förderung von Informationskompetenz in Bibliotheken". Herzstück des Konzeptes ist ein eigens erstelltes Newsportal, das FakeNews enthalten kann. Schüler*innen werden zu Faktencheckern ausgebildet, nehmen das Portal unter die Lupe und sammeln Beweise.
Für die Fortbildung der Fachkonferenz hatte Frau Reckling-Freitag einen Vorschlag erarbeitet, wie das Konzept auf ganz Deutschland ausgeweitet werden könnte und stellte diesen zur Diskussion.
Christian Schwägerl, Journalist, Buch-Autor und Vorstand der RiffReporter, referierte im Anschluss zum Thema „Journalismus in der Bibliothek – neue Allianzen für Medienkompetenz, verlässliches Wissen und offenen Diskurs“. Er sieht in der Zusammenarbeit von Bibliotheken und Qualitätsjournalismus viele Chancen und stellte die Angebote der rund 90 Journalist*innen der RiffReporter vor:
www.riffreporter.de/journalismus-bibliothek-kooperationen/
Literatur an den Rändern
Der letzte Programmpunkt „Literatur an den Rändern“ barg einigen Zündstoff in sich. Bei einer Podiumsdiskussion nahmen Barbara Lison, Michael Lemling, Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl München, Michael Stacheder, Regisseur und Schauspieler, Stellung zum Thema Meinungsvielfalt oder Demokratiegefährdung – Umgang mit ideologisch fragwürdigen Inhalten.
Die Leitfragen von Tom Becker lauteten: Wie politisch dürfen Einrichtungen sein, insbesondere wenn sie von Finanzen der öffentlichen Hand abhängig sind; was haben Theater, Buchhandel und Bibliotheken gemeinsam, was trennt sie.
Buchhandlungen haben es da freilich etwas einfacher, sie können so politisch sein, wie deren Geschäftsführer es will, es gibt keine Begrenzung, lediglich der Umsatz muss stimmen.
Michael Stacheder betrachtet Theater als die älteste Form der Meinungsbildung und beruft sich auf Stefan Zweig: Die Welt von gestern (*postum 1942), dessen Feststellungen erschreckend aktuell seien („…es ging schleichend“) und Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender: “Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.” Seine Arbeit fußt auf der aktiven Auseinandersetzung mit Texten und der Kooperation mit verschiedenen Partnern (Schule, Kunst, vhs, Stadtbibliothek).
Engagiert legte Barbara Lison dar, wie sie zu der Auffassung kam, Bibliotheken können eben nicht neutral sein, sie seien vielmehr demokratieparteiisch, basierend auf dem Grundgesetz. Was den Bestand anbetrifft, tritt sie für Ausgewogenheit ein, umstrittene Themen der Öffentlichkeitsarbeit versucht sie trotz Kritik weiterzuverfolgen und bietet allen Streitparteien Darstellungsmöglichkeiten.
In seinem Ausblick: Bibliotheken – soziale Netzwerke für Demokratie und Meinungsbildung stellte Christian Schwägerl fest, dass in einer Zeit der Umbrüche den Bibliotheken eine wichtige Rolle zukäme, da sie das Vertrauen der Menschen hätten. Seine These lautet: wenn es Bibliotheken nicht gäbe, müsste man sie erfinden.
Allerdings bräuchten die Mitarbeiter*innen auch neue Kompetenzen im Bereich der Moderation und Schlichtung, um den zunehmenden gesellschaftlichen Konflikten zu begegnen.
Ute Palmer schloß mit einem Dank an die Referierenden, die Gastgeber, den Moderator, das Publikum und zitierte abschließend aus Julya Rabinowich: Penelope - A Chorus Line.
Weitere Informationen:
www.fachstellen.de