"Lesen im digitalen Zeitalter" - Mitgliederforum am 6. Oktober 2022 in Regensburg

Diesmal standen Neuwahlen für den BBV-Vorstand an und das aktuelle Thema brannte vielen Kolleg*innen auf den Nägeln.

Blick in den Raum mit Dr. Hopp am Podium / © UB Regensburg - Harald Kloth

Blick in den Raum mit Dr. Hopp am Podium / © UB Regensburg - Harald Kloth

V. l.: Geschäftsführer Georg Fisch und 1. Vorsitzender Dr. Gerhard Hopp, MdL, verabschieden sich / © LFS Wü - tg

V. l.: Geschäftsführer Georg Fisch und 1. Vorsitzender Dr. Gerhard Hopp, MdL, verabschieden sich / © LFS Wü - tg

Prof. Dr. Gerhard Lauer - Lesen im digitalen Zeitalter / © UB Regensburg - Harald Kloth

Prof. Dr. Gerhard Lauer - Lesen im digitalen Zeitalter / © UB Regensburg - Harald Kloth

Podiumsdiskussion; von links: Prof. Dr. Anita Schilcher (Uni Regensburg), Dr. André Schüller-Zwierlein (Direktor der UB Regensburg), Kathrin Demmler (JFF München), Prof. Dr. Gerhard Lauer (Uni Mainz) / © UB Regensburg - Harald Kloth

Podiumsdiskussion; von links: Prof. Dr. Anita Schilcher (Uni Regensburg), Dr. André Schüller-Zwierlein (Direktor der UB Regensburg), Kathrin Demmler (JFF München), Prof. Dr. Gerhard Lauer (Uni Mainz) / © UB Regensburg - Harald Kloth

Dr. Fabian Franke, Direktor der UB Bamberg, stellte S.P.U.T.N.I.K vor / © UB Regensburg - Harald Kloth

Dr. Fabian Franke, Direktor der UB Bamberg, stellte S.P.U.T.N.I.K vor / © UB Regensburg - Harald Kloth

Kathrin Demmler (JFF – Institut für Medienpädagogik, München) / © UB Regensburg - Harald Kloth

Kathrin Demmler (JFF – Institut für Medienpädagogik, München) / © UB Regensburg - Harald Kloth

Vortrag Kathrin Demmler / © LFS Wü - tg

Vortrag Kathrin Demmler / © LFS Wü - tg

Ausstellung des Regensburger Bibliotheksverbunds "Bibliotheken & Archive in und um Regensburg" / © LFS Wü - tg

Ausstellung des Regensburger Bibliotheksverbunds "Bibliotheken & Archive in und um Regensburg" / © LFS Wü - tg

Rund 60 Teilnehmende aus bayerischen Bibliotheken hatten sich im Vielberth-Gebäude der Universität Regensburg eingefunden. Dort wurde das alle zwei Jahre vom Bayerischen Bibliotheksverband e. V. (BBV) organisierte Mitgliederforum veranstaltet.

Dr. Gerhard Hopp, MdL, bisheriger 1. Vorsitzender des BBV, übernahm die Begrüßung der Gäste und dankte dem scheidenden Geschäftsführer Georg Fisch für die Organisation sehr herzlich. Ebenso dem Team der Universitätsbibliothek Regensburg um Dr. Stefanie Aufschnaiter, der Programmkommission, Ute Palmer und der Landesfachstelle für die Mitwirkung.

Er hob hervor, dass es die Stärke des bayerischen Bibliothekswesens sei, neue Herausforderungen positiv anzugehen. Anstatt abzuwarten werde die Digitalisierung als Chance begriffen. Dr. Hopp lobte das Engagement, den Einsatz und die Unterstützung und rief dazu auf mit dem neuen Vorstand kraftvoll in die Zukunft zu gehen.

Frau Dr. Ute Eiling-Hütig, MdL, begann mit dem Zitat von Mark Twain „Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann“ und betonte, wie froh sie sei, dass es noch Autor*innen gebe, die Romane schreiben, die man schließlich in Bibliotheken ausleihen kann. Sie skizzierte außerdem ihren Werdegang, ihre Bibliothekserfahrungen sowie ihr aktuelles Engagement. U.a. befasst sie sich im Ausschuss „Bildung und Kultus“ mit den Bereichen Erwachsenen- und politische Bildung sowie im Ausschuss „Wissenschaft und Kunst“ mit Fragen rund ums Bibliothekswesen.

Prof.in Dr. Susanne Leist, Vizepräsidentin der Universität Regensburg sprach ein Grußwort und Dr. André Schüller-Zwierlein, Direktor der UB Regensburg, eröffnete das Mitgliederforum offiziell.

Lesen im digitalen Zeitalter

In seinem Vortrag  gab Prof. Dr. Gerhard Lauer, Universität Mainz, einen Einblick in die vielfältige Entwicklung des Lesens in den letzten Jahren. Ist es tatsächlich so, dass im digitalen Zeitalter kaum noch jemand liest? Zum Leseverhalten von Jugendlichen und zum Buchkauf gebe es unterschiedliche Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Laut Prof. Lauer zeichnen sich die neuen Lesewelten durch ganz neue Arten der Kulturteilhabe aus. Oft pflegen die Autor*innen selbst den Kontakt zu ihren Leser*innen, er nannte zum Beispiel Brandon Sanderson, der für eine ledergebundene Ausgabe seines Erfolgsromans „The way of Kings“ innerhalb von drei Minuten die nötige Summe von 250.000, am Ende der Kampagne sogar fast 7 Mio. $ via Crowdfunding gesammelt hatte.

Prof. Lauer ging zudem auf den Hashtag #BookTok ein, womit (jüngere) Leser*innen, die gut vernetzt sind, auf TikTok ihre literarischen Tipps empfehlen und Aktionen initiieren. Weinen um ein Buch auf TikTok kann übrigens besonders viele Reaktionen erzeugen.

Bemerkenswert ist, dass 12 der 20 am meisten verkauften Dichter in den USA Instapoets sind. Arch Hades z.B. gilt mit einem Versteigerungswert von 525.000 $ bei Christie’s für einen Soundtrack narrativer Poesie im Vergleich zu Jane Austens Emma-Erstausgabe mit 375.000 £ als höchstbezahlte Dichterin.

Erstaunlichweise spielen Klassiker wie George Orwell oder J.R.R.Tolkien nach wie vor eine Rolle, in den von den jungen Leuten bevorzugten digitalen Medien wie Wattpads und Amazon wird darauf Bezug genommen.

Schlagworte des neuen Lesens sind „kreative Freiheit“, „Spiel“, „Selbstwirksamkeit“ und Gemeinschaftserleben (z.B. „Mädels, die lesen“ auf Instagram oder der TikTok Buchclub). In Kopenhagen gibt es den Trend, farbige Tapes, eine Art Buchzeichen, in den Büchern anzubringen und damit Kommentare und Bewertungen abzugeben. Für diese farblich differenzierte Gestaltung und inhaltliche Bearbeitung kann auch die Bibliothek den Raum zur Verfügung stellen.

Tatsächlich wird also heute so viel gelesen wie kaum jemals zuvor, nur anders. Soziale Medien wie Instagram (Hashtag #Bookstagram), TikTok und Bestseller-Stars bestimmen das Lesen in der digitalen Gesellschaft und geben zusätzliche Anreize dafür.

Im  Anschluss tauschten sich Prof. Dr. Gerhard Lauer, Prof. Dr. Anita Schilcher (Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Universität Regensburg), Kathrin Demmler (JFF – Institut für Medienpädagogik, München) unter Moderation von Dr. André Schüller-Zwierlein in einer Podiumsdiskussion miteinander und dem Publikum aus.
Frau Prof. Schilcher wurde nach den Erkenntnissen zentraler Forschung wie PISA und IGLU gefragt und Kathrin Demmler nach ihren Erfahrungen der medienpädagogischen Praxis.
Schilcher skizzierte, dass ein Teil der jungen Schüler*innen bis Klasse 9 zu den schwachen Leser*innen zählt und keinen ganzen Text verstehen kann. „Wie schaffen wir es, diese 17% von Kindern, die nur auf Kompetenzstufe zwei oder darunter liegen, zu fördern“, erläuterte sie ihren Fokus. Demmler setzte genau hier an und möchte Kindern, die nicht so gut lesen, die Möglichkeit geben, sich über andere Medien einzubringen. Ihr Schlüsselwort lautet Motivation. Die Freude darüber, etwas zu schaffen, könne zu der Motivation führen, sich wieder mit Texten und Inhalten zu befassen.
 „Wie können digitale Medien das Lesen zusätzlich anregen?“, fragte der Moderator weiter. Demmler verwies auf Räume, die einerseits im Netz, andererseits vor Ort in der Bibliothek zum Austausch entstehen – mit oder ohne Buch. Zentral seien weiter die Neugierde, das Aufbrechen von Stereotypen, mediale Vorbilder sowie das Gemeinschaftsgefühl, das Kinder und Jugendliche in Clubs und Communities finden. Schilcher ergänzte, dass digitale Medien zum niedrigschwelligen Einstieg in jedem Haushalt verfügbar seien.

Auf die Frage aus dem Publikum, wo er angesichts der von ihm skizzierten Entwicklungen die Rolle der Bibliotheken sehe, antwortete Prof. Lauer, diese sollten sich nicht als Bildungstempel verstehen, sondern ähnlich den skandinavischen Bibliotheken als offenen Ort, in dem junge Menschen mit ihren Bedürfnissen eine wichtige Rolle spielen und wo vieles möglich ist, von Fahrradreparatur bis Kontaktmöglichkeit mit dem Bürgermeister.

Tanja Fottner, Leiterin der Stadtbücherei Augsburg, sieht die öffentlichen Bibliotheken als wichtige Partner für Lehrkräfte und Erzieher, die deren Angebote dankbar annehmen. Bibliotheken müssten ihr Personal in Richtung Medienpädagogik schulen, um neue digitale Formate anbieten zu können. Bibliotheken seien attraktive Orte, deren Raum und Services man freiwillig nutzen kann.

Informations- und Medienkompetenz

Am Nachmittag folgte der Vortrag „Mit S.P.U.T.N.I.K in das Informationsweltall“ von  Dr. Fabian Franke, Direktor der UB Bamberg. S.P.U.T.N.I.K ist übrigens die  Abkürzung für „Schülerinnen- und Schülerprojekt zur Gestaltung von Unterricht in Form eines Tutorials (nachnutzbar) zur Steigerung der Informationskompetenz“. Das Angebot wurde von der AG Informationskompetenz des Bibliotheksverbunds Bayern und der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HfÖD) konzipiert. Es richtet sich vor allem an die gymnasiale Oberstufe und gliedert sich in fünf Module, die schrittweise ins wissenschaftliche Arbeiten einführen. Dabei geht es spielerisch und unterhaltsam zu, wenn die Schüler*innen sich mit dem Alien Ed auf eine Reise durch weite Informationswelten begeben. Das Programm kann zur Vor- und Nachbereitung, ergänzend oder als Alternative für den Besuch einer wissenschaftlichen Bibliothek verwendet werden. Ein erfreuliches Fazit: 66% der Schüler gaben bei einer Evaluation das Feedback, sie hätten etwas gelernt.Die schöne Nachricht für alle, die Schüler*innen Informationskompetenz in dieser anregenden Form vermitteln möchten: Das Programm steht unter CC-Lizenz und jeder der es für sinnvoll erachtet, kann und darf es verwenden, egal, ob öffentliche Bibliothek oder Schulbibliothek.Es kann zum Beispiel bei der Universitätsbibliothek Würzburg abgerufen werden.

Im Abschlussreferat machte sich Kathrin Demmler für Informierte Verantwortung als Ziel pädagogischer Arbeit“ stark, die sie als  orts- und generationenübergreifend betrachtet. Sie verdeutlichte, dass Kinder und Jugendliche mehr noch als Erwachsene unter den derzeitigen Krisen (Flüchtlinge, Corona, Energie, Ukraine) zu leiden haben. In dieser Situation ist sei wichtig, Zuversicht und Resilienz zu stärken.
Medienkompetenz fördern, bedeute, Kinder und Jugendliche sowie deren Bezugspersonen fit darin zu machen, Medien zu gebrauchen, die Abläufe im Hintergrund zu durchschauen sowie Inhalte zu gestalten und zu überdenken.
Junge Menschen in ihrer Entwicklung mit Medien begleiten, bedeute, mit ihnen gemeinsam herauszufinden, welche Nutzungsformen zu deren Alltag passen. So etwa die „Rezeption“ von PC-Spielen oder Online-Angeboten zur Unterhaltung oder Information, die „Kommunikation“ übers Social Web oder die „Artikulation“, also der Selbstausdruck u.a. durch Multimediale Plattformen.

Demmler schloß mit einer Folie in bunten, gestalteten Buchstaben: „Gesellschaftlicher Wert ist Mut, zusammenzuhalten und füreinander einzustehen mit Respekt, Toleranz & Geist“. In Bibliotheken als Orten der freien Auseinandersetzung können solche Ideale gelebt werden.


Ein abschließendes Fazit zog Ute Palmer von der Landesfachstelle: Bibliotheken haben mehr denn je einen Vermittlungsauftrag und müssen den Raum und das Equipment zur Verfügung stellen, z.B. zum Gestalten mit Medien. Wichtig sei es auch, medienaffine Kolleg*innen einzusetzen. Darüber hinaus seien Bibliotheken nach wie vor Orte der Demokratie und Meinungsbildung.

Bedingt durch die Verlegung des Bayerischen Bibliothekstages auf das Jahr 2021 wurde diesmal der neue BBV-Vorstand im Rahmen des Mitgliederforums neu gewählt. Die Wahlleitung übernahm Renate Siegmüller (OTH Regensburg).

Neuer BBV-Vorstand (OeBiB.de)

Natürlich blieb Zeit für den persönlichen Austausch in den Pausen und bei einem mittäglichen Get-together. Auch die Besichtigung der Universitätsbibliothek Regensburg durfte nicht fehlen.

Flankierend zur Veranstaltung war im Veranstaltungssaal eine Ausstellung des Regensburger Bibliotheksverbunds zu sehen. Auf Bannern präsentierten sich u.a. die Landesfachstelle, der St. Michaelsbund und weitere Bibliotheken & Archive in und um Regensburg.

Der nächste Bayerische Bibliothekstag wird vom 20. bis 21.09.2023 in Ingolstadt stattfinden.

Weitere Infos:

Flyer zum Mitgliederforum

Website des BBV zum Mitgliederforum

 

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