Das Besondere in diesem Jahr ist, dass der Literaturnobelpreis zum einen an eine Frau, zum anderen an eine Autorin des asiatischen Raumes verliehen wird. Über die mögliche Auszeichnung einer nicht europäischen Person war bereits im Vorfeld spekuliert worden. Nun geht der Literaturnobelpreis zum ersten Mal nach Südkorea. Der Name ist wie immer eine Überraschung. Die Reaktionen in der Presse darauf sind positiv.
Han Kang gilt als die wichtigste literarische Stimme Koreas. Als 18. Frau erhält sie den renommierten literarischen Preis „für ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“. So gab es der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, in Stockholm bekannt.
Han Kang wurde 1970 in Gwangju, Südkorea, geboren und lebte seit dem Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie in Suyuri, Seoul. Sie ist die Tochter des Schriftstellers Han Seung-won. Die Autorin wuchs unter restriktiven politischen Verhältnissen auf. Bevor Südkorea 1987 zur präsidialen Demokratie wurde, waren verschiedene Militärdiktaturen an der Macht.
Die Literaturnobelpreisträgerin studierte an der Yonsei University in Seoul Koreanische Literatur und graduierte dort im Jahr 1993. Sie startete literarisch mit Gedichten, wandte sich dann der Prosa zu und veröffentlichte ihren ersten Roman 1994.
Für "Die Vegetarierin" bekam Han Kang 2016 gemeinsam mit ihrer Übersetzerin den Man Booker International Prize. Nach der deutschen Übersetzung wurde die Autorin mit diesem Titel auch hierzulande bekannt. Ebenso war der Roman "Weiß" für den Booker Prize nominiert, "Menschenwerk" wurde für den italienischen Premio Malaparte ausgewählt. Darüber hinaus gewann Han Kang weitere Auszeichnungen, in ihrer Heimat beispielsweise bereits 1999 den 25. Korean Novel Award, 2000 den Today's Young Artist Award des Ministeriums für Kultur und Tourismus, 2005 den YiSang Literary Award und 2010 den Dongri Literary Award.
Auf Deutsch sind die Werke von Han Kang beim Aufbau-Verlag erschienen:
Die Vegetarierin, Roman. Übers. von Lee Ki-Hyang, 2016 (Originalfassung 2007)
Menschenwerk, Roman. Übers. von Lee Ki-Hyang, 2017 (Originalfassung 2014)
Deine kalten Hände, Roman. Übers. von Kyong-Hae Flügel, 2019 (Originalfassung 2002)
Weiß. Übers. von Lee Ki-Hyang, 2020 (Originalfassung 2016)
Griechischstunden. Übers. von Lee Ki-Hyang, 2024 (Originalfassung 2011)
Die inhaltliche Bandbreite ihres Schaffens reicht von der Aufarbeitung eines blutigen Aufstandes im südkoreanischen Gwangju im Jahr 1980, der brutal niedergeschlagen wurde ("Menschenwerk") über den künstlerischen Kontext mit einem verschwundenen Bildhauer als Protagonisten ("Deine kalten Hände"), die Aufarbeitung des schmerzlichen Verlustes ihrer Schwester ("Weiß"), eine zunehmend surreale Geschichte vom stillen Protest einer ganz gewöhnlichen Ehefrau, die kein Fleisch mehr essen möchte ("Vegetarierin") bis hin zu einer Liebesgeschichte von zwei beeinträchtigten Menschen ("Griechischstunden").
Der Stil der Autorin ist leise, poetisch, aber gleichzeitig ausdrucksstark und prägnant. Die Erfahrungen von subtiler oder brutaler Gewalt sowie patriarchalischer Strukturen bilden den Hintergrund ihres Schreibens. Kontrastierend dazu stellt Hang Kang die Würde des Menschen heraus.
Han Kang arbeitete zeitweise auch als Journalistin und lehrte kreatives Schreiben in Seoul.
Während der Präsidentschaft von Staatschefin Park Geun Hye (2013 bis 2017) stand sie wegen ihrer kritischen Haltung mit 9.000 Kulturschaffenden auf einer Schwarzen Liste.
Überreicht werden die Nobelmedaillen traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel (1833–1896). Die Auszeichnungen sind 2024 erneut mit einem Preisgeld in Höhe von je elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) dotiert.
In den vergangenen beiden Jahren waren der Norweger Jon Fosse und die Französin Annie Ernaux mit dem Literaturnobelpreis gekürt worden.
Quellen und Informationen:
Offizielle Website zum Literatur-Nobelpreis
Wikipedia-Eintrag zu Hang Kang
Bericht in Deutschlandfunk Kultur