Der Roman beginnt damit, dass die 17-jährige Sally zu Fuß auf der Flucht ist. Als sie an einem Weinberg vorbeikommt, trifft sie auf die viel ältere Liss, welche sie einlädt, auf ihrem Hof zu übernachten. Zunächst ist es nur für eine Nacht, doch sie bleibt den ganzen Spätsommer.
Am Anfang erfahren wir von den beiden Frauen wenig über ihre Vorgeschichten. Weder vor wem oder was Sally flüchtet noch warum Liss Menschen meidet. Auch nicht, warum Liss nun Sally bei sich aufnimmt. Nur die Gedankenwelten erlauben einen fragmenthaften Einblick in die Vergangenheit, die sie verfolgt.
Auf dem großen Hof leben die Frauen, fast ohne miteinander zu reden, und umkreisen sich, ohne sich wirklich zu begegnen. Doch sie spüren eine sonderbare Verbundenheit. Sally, die sonst keine Menschen leiden kann, findet die Einzelgängerin Liss interessant. Sally will wissen, warum Liss alleine auf dem Hof lebt. Wenn Sally sie jedoch mit direkten Fragen konfrontiert, bleibt Liss stumm.
Nach und nach nähern sie sich an. Sally hilft Liss bei der Ernte auf den Kartoffelfeldern oder im alten Birnengarten. Liss zeigt ihr, wie man für Bienen und Hühner sorgt, Brot bäckt oder Schnaps brennt. Die körperliche Arbeit in der spätsommerlichen Natur bringt dem Stadtkind Sally wieder Freude und sprichwörtlich (Lebens-)Hunger. Der Grund ihrer Flucht holt Sally allerdings ungewollt ein.
Plötzlich haben die Eltern Sally gefunden, bringen sie zurück in die Welt, in der sich Sally so fremd und eingeengt fühlt und so oft schon versuchte, durch Essensverweigerung und Suizidversuche zu entfliehen. Liss wird von der Polizei mitgenommen, schließlich hat die ehemalige Straftäterin einer Minderjährigen Obhut gegeben. Liss‘ alte Erinnerungen werden wieder schmerzhaft lebendig, in denen sie auf ihren gewalttätigen Ex-Mann einsticht und zur Folge ihren geliebten Sohn Peter verliert. Ihre Schuldgefühle bringen sie auf den Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Und am Ende wird Sally für Liss die Rettung sein, wie diese es zuvor für sie war.
„Alte Sorten“ ist ein Roman, der die Frage „Wie entsteht Nähe und wie viel tut gut?“ durch diese zarte Freundschaft der Frauen, aber auch durch ihre Beziehungen zu Familie und Partnerschaft thematisiert.
Gleichzeitig weisen Ewald Arenz‘ Worte eine Sinnlichkeit auf, die die Leser*innen die Natur riechen, schmecken, fühlen und vom Garten Eden – in Form des verwilderten Gartens mit den alten Birnensorten – träumen lässt. Ein Buch, in dem das romantische Landleben im Herbst, dessen Geruch und Geschmack, wie in Liss‘ Obstler, eingefangen worden ist.
Arenz, Ewald:
Alte Sorten : Roman / Ewald Arenz. - Köln : DuMont Buchverlag, 2020. - 255 Seiten, 19 cm
ISBN 978-3-8321-6530-7 Broschur : EUR 10,00